Zum Tode von Philip Seymour HoffmanDer subtile Gigant
Er bewies extreme Wandlungsfähigkeit, bewegte sich lustvoll in allen Genres und warf bei jeder Rolle auch sein Selbst in die Waagschale: Der Schauspieler Philip Seymour Hoffman einte Kritik und Publikum in Bewunderung. Die Qualen seines wirklichen Lebens blieben den Zuschauern weitgehend verborgen.
VonDavid Kleingers
- X.com
- Messenger
- Messenger
Viele Schauspieler haben rückblickend genau den einen Film, der ihren Durchbruch bedeutete. Beim Namen Philip Seymour Hoffman hingegen fällt wohl jedem ein anderer Titel ein, der als maßgeblich für die Karriere des Ausnahmedarstellers gelten kann.
Es war die ihm eigene, rare Kombination aus unausweichlicher Präsenz und extremer Wandlungsfähigkeit, die in den vergangenen 20 Jahren etliche von Hoffmans Auftritten denkwürdig machte. Sein Übergang vom profilierten Nebendarsteller zum Arthouse-Favoriten gestaltete sich dabei fließend - auf einmal war der einstige Geheimtipp der eigentliche Grund, warum man sich einen Film überhaupt ansah.
Doch selbst auf dem Höhepunkt seiner Popularität kehrte Hoffman bisweilen ins vermeintlich zweite Glied zurück, wenn ihn ein Stoff oder die Herausforderung einer bestimmten Rolle reizte. Zudem blieb er zeitlebens ein versierter und vielfach ausgezeichneter Bühnendarsteller, der sich - im Gegensatz zu einigen Hollywood-Kollegen - nicht aus Imagegründen ab und an im Theater sehen ließ, sondern weil er glaubwürdig den künstlerischen Kontrast zur Kinoleinwand suchte. Auch deshalb war Hoffman zuletzt ein gleichsam unverwechselbarer und unberechenbarer Star, der Kritik und Publikum in seltener, einträchtiger Bewunderung einte.
Fotostrecke
Zum Tod von Philip Seymour Hoffman: Trockener Witz und erschütternder Weinkrampf
Foto: MAX ROSSI/ REUTERS
Der Weg dahin begann in den frühen Neunzigern, als der 1967 in Fairport, New York, geborene Hoffman nach dem Schauspielstudium seine ersten TV- und Filmauftritte absolvierte. Entscheidend für seinen Aufstieg sollte die Zusammenarbeit mit Autorenfilmer Paul Thomas Anderson sein: Anderson gab Hoffman schon in seinem Spielfilmdebüt "Hard Eight" (1996) eine kleine Rolle, auf die ein schon weit signifikanterer Part in der knallbunten Porno-Moritat "Boogie Nights" (1997) folgte.
Zwischen trockenem Witz und erschütterndem Weinkrampf
In Andersons komplexem Ensembledrama "Magnolia" (1999) rief Hoffman dann als emphatischer Krankenpfleger in nur wenigen Szenen ein ganzes Spektrum an Emotionen ab, oszillierte mühelos zwischen trockenem Witz und erschütterndem Weinkrampf und erschien plötzlich einem großen Publikum als Solitär in einer ohnehin imposanten Besetzung. So gilt "Magnolia" auch zu Recht als eben einer der Titel, die prägend für Hoffmans weitere Karriere waren.
Die kreative Beziehung mit Anderson sollte sich fortsetzen bis hin zum jüngsten Triumph "The Master" (2013), in dem Hoffman den charismatischen wie enigmatischen Anführer einer quasireligiösen Bewegung spielte und einmal mehr seinen Status als singulärer Charakterdarsteller untermauerte. Den hat er sich in den davor liegenden Jahren eindrucksvoll erarbeitet, wobei Hoffmans Spiel bei aller Konzentration und Hingabe nie auch nur den Hauch von Bemühtheit hatte.
Waren die späten Neunziger noch so etwas wie seine Aufwärmphase mit Filmen wie "The Big Lebowski" (1998), "Happiness" (1998) und "Der talentierte Mr. Ripley" (1999), dann waren die Nullerjahre das Jahrzehnt, in dem sich Hoffmans Talent endgültig entfalten durfte. Und das in einer unerhörten Bandbreite: In der sentimentalen Musiknostalgie "Almost Famous" elektrisierte er als Rockkritiker Lester Bangs, als verhuschter Bankbeamter mit Spielsucht machte er die Tragikomödie "Owning Mahoney" (2003) zu einem Kinokleinod, bevor er schließlich für seine fulminante, raumgreifende Verkörperung des exzentrischen, titelgebenden Literaten in "Capote" (2005) den Oscar als bester Schauspieler gewann.
Mit Gusto in allen Genres
Während andere Oscar-Preisträger in Folge der Auszeichnung nicht selten gehemmt wirken und sogar Karriereknicke erleiden, drehte Hoffman stattdessen einfach weiter auf. Dabei kannte er keinerlei Dünkel und bewegte sich mit Gusto in allen Genres: So gab er lustvoll und schillernd den perfiden Antagonisten in dem Blockbuster-Sequel "Mission: Impossible III" (2006), um gleich darauf mit größter Sensibilität als Teil eines emotional versehrten Geschwisterpaars "The Savages" (2007) zu brillieren. Und so steht sein beängstigender und schonungsloser Vollkörpereinsatz in dem nihilistischen Thriller "Before the Devil Knows You're Dead" (2007) im aufregenden Kontrast zu seiner ebenso beieindruckenden Darstellung eines strauchelnden katholischen Geistlichen in "Doubt" (2008).
Dabei war er nie ein Darsteller-Chamäleon oder method actor, genauso wenig brauchte er aufwendige Masken oder radikale Diäten. Philip Seymour Hoffman warf als Schauspieler immer auch sein Selbst in die Waagschale, ganz gleich, wen er spielte. Obschon stämmig gebaut, konnte er auf Wunsch unvermittelt leichtfüßig, ja grazil wirken. Und sein Blick, der eben noch den Raum vereiste, brach im nächsten selbst das verhärtetste Herz.
Zuletzt war Hoffman, der zusammen mit seiner langjährigen Lebenspartnerin Mimi O'Donnell drei Kinder hatte, im "Hunger Games"-Sequel "Catching Fire" zu sehen. Der Spaß am Spiel, er war ihm auch in diesem cleveren Spektakel anzusehen, und wie immer brauchte er nur eine Einstellung, um die Rolle unangefochten zu seiner zu machen.
Für das Publikum weithin unsichtbar war dagegen der Drogenmissbrauch, mit dem Hoffman bereits zu Beginn seiner Karriere zu kämpfen hatte. Im vergangenen Frühjahr begab er sich nach einem Rückfall in Behandlung, und gerne glaubte man, dass die Therapie erfolgreich war. Doch die ersten Nachrichten vom Umstand seines schockierenden Todes lassen auf eine andere, traurige Geschichte schließen, die sich hinter den Kulissen abspielte.
Es ist ein furchtbares Ende, das man nicht wahrhaben will. Denn in einem Gewerbe voller Scheinriesen war Philip Seymour Hoffman ein subtiler Gigant.