Philip Seymour Hoffman hatte keine Angst vor der Selbstentblößung. Er spielte Einsame, Verlierer und Perverse. Die Traurigkeit der Figuren war auch seine eigene.
Von Anke Sterneborg
Wie ein glücklicher Mann sah Philip Seymour Hoffman nie aus, und er wusste natürlich auch sehr gut, dass er weder die Statur noch das Aussehen eines strahlenden, romantischen Helden hatte, mit seiner schwammigen Physis, dem blassen Teint, den wässrig blauen Augen und strähnig rotblonden Haaren. Doch, meine Güte, was machte er daraus! So seelentief und wahrhaftig die Nöte des vom Leben gedemütigten kleinen Mannes ausspielen, das kann man wohl nur, wenn man sie schmerzlich am eigenen Leib gespürt hat.
An der Highschool entdeckte der 1967 in Fairport, New York geborene Hoffman sein Talent, besuchte später die New Yorker Tisch School of Arts und fiel 1998 im Kino zum ersten Mal richtig auf, in Todd Solondz' Happiness, einer finsteren Komödie, in der es natürlich um alles andere ging als ums Glück. Aus einer einzigen, nicht besonders langen Szene destillierte er da die ganze Kläglichkeit der menschlichen Existenz. Mit bleichem, pummeligem Körper und hängenden Schultern sitzt er da in Unterhosen auf der Bettkante, keucht und schnauft schwitzend ins Telefon, bis ein gelblich glasiger Klecks an die weiße Wand neben der Nachttischlampe platscht.
Die große Kunst von Philip Seymour Hoffman bestand darin, neben der spontanen Abscheu, die diese Szene auslöst, sehr schnell ein tiefes Mitgefühl für diesen einsamen, traurigen Mann zu wecken. Noch für die lächerlichsten Loser hat er Sympathien mobilisiert. Frei von Eitelkeit und mit einer Rückhaltlosigkeit, die an Selbstentblößung grenzt, hat er klägliche Verlierer, schüchterne Loner, großspurige Angeber, schmierige Perverse, arrogante Rechthaber und opportunistische Arschkriecher gespielt, aber auch den hingebungsvollen Krankenpfleger, der in Magnolia einen todkranken Vater und seinen entfremdeten Sohn zusammenbringt. Und immer wieder hat er, ohne es darauf anzulegen, den großen Stars, in deren Schatten er spielte, die Show gestohlen, so wie hier Tom Cruise, wie Al Pacino in Der Duft der Frauen oder Robert De Niro in Makellos.
Capote als erste Heldenfigur
Bald spielte er sich so in die sonst für verlässliche Nebendarsteller eher unerreichbare Liga der Hauptdarsteller. Seine erste Hauptrolle in Owning Mahowny hält Philip Seymour Hoffman zwischen souveränem Geschäftsgebaren am Arbeitsplatz in der Bank und lächerlicher Zwanghaftigkeit am Spieltisch bravourös in der Schwebe. Der ganz große Coup wurde dann seine mit dem Oscar ausgezeichnete Truman-Capote-Mimikry. Obwohl er da zum ersten Mal fast so etwas wie einen amerikanischen Helden spielte, fügte sich der zwischen Anflügen von Größenwahn und Anfällen von Verzweiflung schlingernde Schriftsteller perfekt in seine Filmografie.
Reale Persönlichkeiten wie den Musikkritiker Lester Banks in Almost Famous oder den Spielsüchtigen in Owning Mahowny hatte Hoffman schon mehrmals intoniert, doch Capote war ein anderes Kaliber. Es half, dass er mit dem Regisseur Bennet Miller und dem Drehbuchautor Danny Futterman seit Teenagerzeiten befreundet war: "Wir hatten einfach nichts zu verlieren miteinander, und konnten uns richtig gehen lassen, ohne uns zu genieren", erzählte er im Gespräch zum Deutschlandstart des Films, bei dem er sich in verwaschenem schwarzen Pulli und ausgebeulter Hose in die Couchecke fallen ließ und sich auch sonst eher muffelig abweisend gab. Fragte man ihn, woher er den ungeheuren Mut zu Demütigung und Peinlichkeit nimmt, winkte er ab. Die Konsequenz, mit der er auf der Leinwand wie mit dem Vergrößerungsglas genau das sichtbar macht, was jeder Mensch im Leben zu verbergen versucht, war für ihn einfach nur die Essenz seines Berufes: "Ganz unabhängig davon, wen man spielt, geht es immer darum, die verborgenen Seiten zu zeigen. Man muss jede Privatheit eliminieren und immer das zeigen, was in einem Menschen verwundbar ist. Nur so wird spürbar, wer dieser Mensch wirklich ist, nur so dringt man tief in seine Psyche ein." Als manischer Perfektionist, der seine Darstellungen bis in die kleinste Fingerspitze hinein kontrolliert, erarbeitete er sich in fünf akribischen Monaten all die affektierten Manierismen und den Klang der fisteligen Stimme des berühmten Literaten.
Als er kurz darauf im Mainstreamblockbuster Mission Impossible 3 den fiesen, skrupellosen, eiskalten Gegenspieler von Tom Cruise spielte, den Geheimnishändler Owen Davian, der hinter den Kulissen auf internationaler Ebene die Fäden zieht und nicht zu fassen ist, obwohl er von Agenten aus aller Welt gejagt wird, fragte man sich, warum nicht schon längst jemand auf die Idee gekommen war, ihn als Psychopathen zu besetzen. Doch so eine Rolle unterforderte ihn auch maßlos: "Da gibt es keine Tiefe, sondern nur animalische Bedürfnisse, und das ist für mich als Schauspieler auch frustrierend. Als normales, menschliches Wesen hinterfragt man sich selbst, man hat Zweifel, und wenn man so einen Typen spielt, begreift man, dass es da nur um reines Bedürfnis geht. Gefühle gibt es da nur, wenn er nicht bekommt, was er will, in der Form reiner Wut und Gewalt."